Kapitel 1
Grundlagen und Begrifflichkeiten
1.1 Grundlagen der Unternehmensbewertung im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge im Mittelstand
In vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in Deutschland ist die zentrale Frage der Unternehmensnachfolge ungelöst. Die Unternehmensnachfolge kann durch einerseits interne Lösungen herbeigeführt werden. Hierzu zählen die Nachfolge an die eigenen Kinder innerhalb eines Familienbetriebs oder der sukzessive Verkauf von Anteilen an Mitglieder der obersten Führungsebene. Alternativ besteht die Möglichkeit der externen Nachfolge. Diese beinhaltet den Verkauf von Unternehmensanteilen an einen strategischen Käufer, einen Finanzinvestor oder an einen Privatinvestor, der selbst in die Geschäftsführung einsteigen möchte (man spricht hier auch von einem Management Buy-In).
Der Verkauf von Anteilen an Mitglieder der eigenen Führungsebene oder an externe Nachfolger geht in der Regel mit einem Transaktionsprozess einher. Ein Teil dieses Prozesses beschäftigt sich mit der Frage des Unternehmenswertes oder konkret: „Für wie viel EURO sollte oder kann ich mein Unternehmen verkaufen?“.
1.2 Klärung von Begrifflichkeiten – Unternehmenswert versus Kaufpreis
Häufig werden die Begriffe Unternehmenswert und Kaufpreis synonym verwendet. Dabei gibt es hier einen entscheidenden Unterschied, den man kennen sollte, um sicher und ohne Überraschung durch den Prozess einer Unternehmensnachfolge zu gelangen.
Der (Brutto-) Unternehmenswert
Dieser spiegelt den theoretisch ermittelten Wert eines Unternehmens dar und basiert auf finanziellen und nicht finanziellen Faktoren. Es gibt nicht den einen
richtigen oder falschen Unternehmenswert. Denn zum einen gibt es unterschiedliche Berechnungsmodelle mit verschiedenen Schwerpunkten, wie beispielweise vergangenheits- oder zukunftsorientierte Verfahren. Zum anderen gibt es innerhalb eines Bewertungsverfahrens nicht die eine, einzig korrekte Antwort, da es sich hierbei um theoretische Modelle handelt, die auf diversen Annahmen beruhen und damit einen Spielraum zulassen.
Wichtig zu verstehen ist auch die Tatsache, dass nur wenige Verfahren eine relevante Rolle für KMUs spielen. Eines der etabliertesten Verfahren für mittelständische Unternehmen ist das vielfach angewandte Multiplikator Verfahren.
Eine weitere, praxis- und marktwertorientierte Methode ist die des sogenannten Anonymen Bieterverfahrens. Beide Verfahren sollen im weiteren Verlauf näher beleuchtet werden. Je nach Größe, Industriezweig und Marktwachstum (oder -rückgang) können noch weitere Berechnungsmethoden herangezogen werden. Hierzu zählen das Discounted Cashflow Verfahren, das Ertragswertverfahren sowie das Substanzwertverfahren.
Das Ergebnis der meisten Verfahren spiegelt dabei allerdings nicht das Ergebnis aus Angebot und Nachfrage wider, sondern lediglich eine theoretische Größe. Ungeachtet dessen dienen Sie jedoch oftmals Käufern und Verkäufern als ein erster Anhaltspunkt zur Findung eines Unternehmenspreises.
Der Kaufpreis
Der Kaufpreis ist schließlich der Betrag, der dann tatsächlich konkret für den Erwerb aller Anteile („Share Deal“ bei einer Kapitalgesellschaft) oder aller Vermögensgegenstände („Asset Deal“) eines Unternehmens gezahlt wird. Er kann und wird in den meisten Fällen aufgrund verschiedener Faktoren vom vorher ermittelten Unternehmenswert abweichen.
Die Ursache hierfür ist die sogenannte „Überleitungsrechnung“ vom Brutto-Unternehmenswert zum tatsächlichen Eigenkapitalwert zu einem Stichtag. Ein sehr einfaches Beispiel sind vorhandene Bankverbindlichkeiten, die dem Unternehmenswert abgezogen werden und somit den Wert des Eigenkapital reduzieren. Doch gibt es auch sehr viel speziellere Detailthemen wie Anpassungen des Kaufpreises auf Basis des zum Stichtag vorhandenen Umlaufvermögens. Sollte der Verkäufer vor Abschluss der Transaktion im Rahmen einer Rabattaktion seinen Warenbestand erhöhen, um dem Unternehmen günstige Einkaufspreise zu sichern, wird der zum Stichtag kurzfristig vorherrschende, überschüssige nicht betriebsnotwendige Anteil des Umlaufvermögens im Rahmen der Überleitungsrechnung dem Unternehmenswert zugeschlagen.
1.3 Berechnungsbeispiel mit dem Multiplikator Verfahren
Beim Multiplikator Verfahren ergibt sich der Unternehmenswert auf Basis von Finanzkennzahlen und einem entsprechenden Multiplikator. Die am häufigsten verwendeten Bemessungsgrundlagen sind die Erträge vor Zinsen und Steuern (EBIT) bzw. Erträge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA). Die auf diese Bezugsgröße anzuwendenden Multiplikatoren sind auf verschiedenen Portalen und Plattformen einsehbar und stellen Durchschnittswerte auf Basis historisch vergleichbarer Transaktionen je Größenordnung und Branche des jeweiligen Unternehmens dar.
Das heißt konkret:
Bei einem EBITDA Multiplikator von 4,0 wurden ähnliche Unternehmen in der Vergangenheit durchschnittlich mit dem 4,0-fachen Ihres EBITDA bewertet.
Beispiel:
Unternehmen „Meyer & Co.“ Mit Sitz in Süddeutschland und in der IT-Branche tätig erwirtschaftet einen nachhaltigen Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) in Höhe von 1 Millionen Euro und der für diesen Sektor marktübliche EBITDA Multiplikator beträgt 4,0.
Weitere Informationen zum Unternehmen:
• Verbindlichkeiten: 100.000 Euro
• überschüssige Liquidität: 80.000 Euro
• Minderheitsbeteiligungen: Keine
• Nicht betriebsnotwendiges Vermögen (z.B. Immobilie): Keine
Berechnung des Brutto-Unternehmenswertes:
EBITDA: 1.000.000 Euro
Multiplikator: 4
Unternehmenswert = EBITDA × Multiplikator = 1.000.000 Euro × 4 = 4.000.000 Euro
Anpassungen des Unternehmenswertes:
Subtrahieren von Verbindlichkeiten: 4.000.000 Euro – 100.000 Euro = 3.900.000 Euro
Addieren von überschüssiger Liquidität: 3.900.000 Euro + 80.000 Euro = 3.980.000 Euro
Dies ist ein stark vereinfachtes Beispiel, um den theoretisch erzielbaren Unternehmenswert und schließlich Anteilskaufpreis für unser Beispiel-Unternehmen „Meyer & Co.“ zu berechnen. Die angewandte Methode hat ausschließlich finanzielle Faktoren berücksichtigt. In der Praxis werden zusätzlich qualitative Faktoren bei der Berechnung des Unternehmenswertes berücksichtigt, die sich in Form eines Auf- oder Abschlags im Multiplikator auswirken können.
1.4 Weitere Faktoren, die den Unternehmenswert beeinflussen
Marktumfeld und Finanzierungssituation
Das Marktumfeld, in dem ein KMU operiert, spielt eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung seines Wertes. Faktoren wie die allgemeine Wirtschaftslage, Branchentrends und die Nachfrage nach Produkten oder Dienstleistungen beeinflussen deutlich die Umsatz- und Gewinnentwicklung. Eng damit verbunden ist die Finanzierungssituation des Unternehmens. Eine solide Kapitalstruktur und Finanzierung mit einem gesunden Mix aus Eigen- und Fremdkapital kann den Unternehmenswert steigern, indem sie Stabilität und Wachstumspotenzial signalisiert.
Unternehmerlohn
In vielen KMUs fließt der Unternehmerlohn direkt in die Berechnung der Rentabilität des Unternehmens ein. Ein angemessener Unternehmerlohn, der den Marktkonditionen entspricht, kann den wahren Wert des Unternehmens widerspiegeln und zu einer realistischen Bewertung beitragen.
Unternehmerabhängigkeit
Eine starke Abhängigkeit des Unternehmens vom Unternehmer stellt im Allgemeinen ein Risiko dar. Firmen, deren Erfolg eng mit der Person des Unternehmers verknüpft ist, können bei einem Führungswechsel an Ertragskraft verlieren. Demgegenüber steht ein gut strukturiertes Managementteam, das die Nachhaltigkeit und Stabilität des Geschäftsmodells unterstreicht und so den Unternehmenswert erhöht.
Kunden- und Produktdiversifikation
Die Diversifikation von Kunden und Produkten reduziert das Risiko der Abhängigkeit von einzelnen Großkunden oder spezifischen Produkten. Ein breit aufgestelltes Portfolio kann die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens gegenüber Marktveränderungen verbessern und somit seinen Wert steigern.
Wettbewerbsumfeld
Auch das Wettbewerbsumfeld beeinflusst den Unternehmenswert. Ein KMU, das in einem Markt mit hohem Wettbewerbsdruck operiert, könnte tendenziell niedriger bewertet werden als eines in einem weniger umkämpften „nischigeren“ Segment. Auch die Marktanteile und die Positionierung des Unternehmens können hier eine signifikante Rolle einnehmen.
Markteintrittsbarrieren
Vorhandene Markteintrittsbarrieren können den Wert eines Unternehmens positiv beeinflussen. Sind diese Barrieren hoch, etwa durch eigene Patente, hohe Investitionserfordernisse für den Markteintritt oder eine starke Markenbekanntheit als Voraussetzung, ist es für neue Wettbewerber schwieriger, in den Markt einzutreten. Dies kann die Marktposition und damit den Wert bestehender Unternehmen in der Branche stärken.
1.5 Alleinstellungsmerkmale
Neben den zuvor erörterten Einflussfaktoren auf den Unternehmenswert kommen den Alleinstellungsmerkmalen eines Unternehmens eine ganz besondere Bedeutung zu. Geschützte Patente, intern vorhandenes Entwicklungs-, Prozess- oder Technologie-Knowhow, die Bekanntheit und das Image der Marke, das Qualitätsniveau oder ein Preisvorteil des Unternehmens zählen ebenso zu den wesentlichen Werttreibern wie etwaige Standortvorteile oder die Innovationskraft eines Unternehmens. Je höher die Ausprägung, umso größer kann der Wettbewerbsvorteil sein, der den Unternehmenswert nach oben treibt.
Diese Faktoren sollten bei der Ermittlung des Unternehmenswertes unbedingt berücksichtigt werden, um einen realistischen Wert bei der Berechnung abzubilden. Die folgende Tabelle und Grafik zeigen auf, wie diese in dem neuen Unternehmenswertrechner von Nachfolgekontor einbezogen werden. Das nächste Kapitel setzt sich konkret mit dem Thema Unternehmenswertrechner auseinander.